Nun ist er also da, der neue Film von Christopher Nolan. Angekündigt und lang ersehnt erstrahlt “Oppenheimer” seit gestern (20.07.2023) mit einer beachtlichen Länge von 180 Minuten auf den Leinwänden. Es wurde wieder auf Film gedreht und mit Cillian Murphy in der titelgebenden Hauptrolle herausragend besetzt. Drehbuchautor und Regisseur Nolan zieht in “Oppenheimer” alle Register, vereint seine liebsten Themen Zeit und Physik und kehrt zurück zu seinen Ursprüngen.

von Richard Potrykus

“Oppenheimer” erinnert nicht von ungefähr an Nolans Durchbruch “Memento” (2000). Die Komplexität der Handlung, verdeutlicht durch Aufnahmen sowohl in Farbe als auch in Schwarz-Weiß, die einzelnen Handlungsstränge losgelöst voneinander, verlaufen parallel und sind doch eng miteinander verwoben. Doch während in “Memento” eine rein fiktionale Geschichte rund um einen Mann und einige wenige Personen erzählt wird, befasst sich “Oppenheimer” mit Geschichte an sich. Kernphysik und Quantenmechanik finden hier ihre Plätze, ebenso Antisemitismus, Patriotismus und die großen Konflikte der Mitte des 20. Jahrhunderts.

Und so erzählt der Film nicht nur von den Ereignissen rund um das Manhattan-Projekt, bei dem es darum ging, die Atombombe zu erschaffen. Er erstellt gleichsam Psychogramme der Menschen, die daran beteiligt waren, und befasst sich mit den Auswüchsen der McCarthy-Ära, in der Freund und Feind oft nur eine üble Nachrede voneinander entfernt lagen.

“Oppenheimer” zeigt, dass Entscheidungen nie losgelöst von anderen Einflüssen getroffen werden und dass diese Entscheidungen selbst auch Einflüsse sind. Die nukleare Explosion wird als Kettenreaktion beschrieben, die das Potential in sich birgt, außer Kontrolle zu geraten und die gesamte Welt in Brand setzen zu können. Die Physiker*innen im Film versuchen, dieses Potential zu berechnen. Sie wissen, dass sie eine Waffe entwickeln, wissen, dass sie zu tausendfachem Sterben beitragen werden. Sie wissen aber auch, dass es nicht nur diese eine Fraktion im globalen Konflikt gibt. Wenn Oppenheimer die Bombe nicht entwickelt, wird es der deutsche Heisenberg sein, und wenn er es nicht schafft, werden sowjetische Wissenschaftler*innen Erfolg haben. Wenn Julis Robert Oppenheimer sich für die Deckelung der Nutzung solcher Waffen einsetzt, wenn er sich dagegen ausspricht, nach oder neben der Nuklearwaffe noch die Wasserstoffbombe zu ermöglichen, wird ihm dies zum Verhängnis.

Nolan stellt die Komplexität einer Situation der Einfachheit der gewollten Lösung gegenüber. Noch während die Nationalsozialisten in Europa auf dem Vormarsch sind, wird die Sowjetunion als der eigentliche Gegner benannt. Die Deutschen verkommen zu einer Motivation der Handlung und als die Kunde vom Tod Hitlers die Runde macht, die Legitimation für die Forschung dadurch eigentlich erlischt, wird auf den kleinen Inselstaat Japan verwiesen, und es ist offensichtlich, dass die geplanten Bombardements allein die Funktion haben, Moskau eine Botschaft zu verkünden. Dass hieraus unweigerlich ein Wettrüsten entstehen muss, wird fortwährend ignoriert.

Oppenheimer selbst ist hin- und hergerissen zwischen dem sportlichen Ehrgeiz, die Forschung voranzutreiben und der eigenen wissenschaftlichen Disziplin auf den Grund zu gehen, und den irreversiblen Konsequenzen, die daraus entstehen. Gleich zu Beginn nennt der Film den griechischen Titanen Prometheus, der in der Sage den Menschen das Feuer bringt. Einmal getan, kann dieses Ereignis nicht umgekehrt werden. Oppenheimer weiß darum, doch kämpft er gegen Windmühlen und Menschen, die Nagasaki und nicht Kyoto zum Ziel erklären, weil sie schöne Erinnerungen an ihre Flitterwochen haben.

Doch der Wissenschaftler ist selbst nicht unschuldig. Zwischendurch inszeniert ihn Nolan als Superhelden, dessen Kostüm aus einem Anzug und einem Hut mit perfekter Krempe besteht. Die wissenschaftlichen Fortschritte erinnern an die Montagen aus Actionfilmen, wenn der Held seine besonderen Gadgets kreiert. Und dann blickt die Kamera plötzlich tief in das Innenleben der Figur, die zunächst fasziniert von ihrem Erfolg ist und dann von zukünftigen Schrecken geplagt wird.

Der Regisseur hält die Momente des Heldentums bewusst kurz, das Pacing hier auf Staccato-Level. Die Kettenreaktion findet sich auch in der Form des Films wieder, im Sounddesign, wenn Streichinstrumente schnell und kurz gespielt werden und an das Ticken einer Uhr erinnern, wenn in ähnlichem Rhythmus Füße aufstampfen, kurz bevor ein Applaus losgetreten wird. Für Nolan sind Komplexität und Einfachheit ein Paar, welches stets zusammen auftritt und das Publikum irritiert. Wie soll es sich verhalten? Darf die geglückte Testdetonation gefeiert werden, wenn doch bekannt ist, wie die nächsten Schritte aussehen? Immer wieder wird aus dem Wahn nach der ultimativen Waffe die wahnsinnige Angst vor dem nicht klar definierten Kommunismus. – Was ist Kommunismus? Ab wann ist man Kommunist?

“I am become death” – Der berühmte Ausspruch Oppenheimers, entlehnt an ein hinduistisches Epos, und der Verweis auf Prometheus verleihen „Oppenheimer“ etwas Philosophisches und es ist genau diesem Umstand geschuldet, dass der Film so viel mehr ist als die plumpe Erzählung, wie die Atombombe in die Welt kam, dass mit Büchners “Dantons Tod” noch eine dritte literarische Referenz getätigt werden kann. Dort heißt es, die Revolution fräße ihre Kinder, und es ist die Einfachheit im Denken, die Nolan hier auf die Spitze treibt. Der Held des Films, jener, der für sein Vaterland das Unmögliche möglich gemacht und den Rest der Welt übertrumpft hat, wird beinahe über Nacht vom Volkshelden zum Feind des Volkes.

Fazit

Würde man zwanghaft nach etwas Fehlerhaften suchen, so könnte man überlegen, ob der Handlungsstrang um Florence Pugh notwendig gewesen wäre, und es stellt sich die Frage, weshalb in einer bestimmten Szene gezeigt wird, dass Kitty Oppenheimer (Emily Blunt) einen Flachmann in ihrer Handtasche mit sich führt, wenn dies keine direkte Bedeutung für das weitere Geschehen hat. Man könnte auch überlegen, ob die Besetzung von Harry S. Truman durch Gary Oldman, der nur kurz im Film auftaucht, sinnvoll war. Manche Menschen werden Film als langweilig empfinden und werden mit ihm vermutlich die gleichen Probleme haben wie mit Michael Manns “Heat” (1995)

Unterm Strich sind dies allerdings Befindlichkeiten, die in einer Bewertung nichts verloren haben. Die aufgezählten Aspekte haben ihren Platz im Film zurecht und tragen in Funktion und Bedeutung zum Gesamtwerk bei. “Oppenheimer” ist kein Film, er ist eine Erfahrung und schlägt auf außergewöhnliche Weise die Brücke zwischen Blockbuster-Kino und Arthouse. Die Techniken, mit denen der Film erstellt wurde, die Lichtkomposition, Soundtrack und Sounddesign und nicht zuletzt die Kameraführung machen den Film zu einem Erlebnis, das einen nicht so leicht wieder loslässt.

Bewertung

Bewertung: 10 von 10.

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Bild: (c) Universal Pictures